Internet: Bundespolizei sorgt für Kopfschütteln Von David Rosenthal Die Bundespolizei hat Schweizer Internet-Zugangsanbieter aufgefordert, rassistische Internetseiten im Ausland dem Zugriff ihrer Kunden zu entziehen (die BaZ berichtete). Damit soll offenbar ein Pilotprozess in Sachen Rassismus im Internet vorbereitet werden. Das überstürzte Vorgehen der Bundespolizei führte zu Verärgerung und provozierte Kopfschuetteln. Viele technische Probleme wurden übersehen. Basel. Gemäss Schätzungen der Bundespolizei gibt es 700 rassistische und rechtsextreme Angebote im Internet. Der grösste Teil davon befindet sich auf Rechnern im Ausland, doch nach Ansicht der Bundespolizei sollen Schweizer Internetanbieter nun auch für diese Angebote geradestehen. In einem knappen Brief, der letzte Woche rund 100 Zugangsanbietern zuging, werden diese aufgefordert, zehn namentlich genannte Internetadressen mit rassistischen - und damit hierzulande strafbaren - Inhalten für ihre Kunden zu sperren. Tun sie das nicht, müssen sie mit einem Verfahren wegen Gehilfenschaft zur Verbreitung strafbarer Inhalte rechnen. Die hiesigen Provider, dies zeigte eine Umfrage, werden dieser Aufforderung wohl grösstenteils nachkommen. Dennoch löste das Schreiben der Bundespolizei Kopfschütteln und Ratlosigkeit aus. Denn von den offenen juristischen Fragen abgesehen (vgl. Kasten), vermag die Aktion gegen den Rassismus im Internet nichts auszurichten. Es ist einem Provider zwar technisch durchaus möglich, Zugriffe seiner Kunden auf einzelne Rechner im Internet zu sperren. Er kann dies durch eine Anpassung seiner Adresslisten (Domain Name Server) tun; jeder Aufruf einer so gesperrten Adresse würde auf eine Art Abstellgleis geführt. Ein Provider kann seine Systeme (Router) auch so programmieren, dass alle Datenpakete von und zu einer bestimmten Rechner-Nummer (IP-Adresse) nicht transportiert werden. Das ist die sicherere Methode. Ein untauglicher Versuch? Doch alleine mit den von der Bundespolizei genannten Adressen ist es einem Provider mitunter gar nicht möglich, alle Rechner zu identifizieren, auf denen ein Angebot verteilt sein kann. Eine Sperre wäre so, als würde von mehreren Türen ins gleiche Zimmer nur eine verriegelt. Auch die Anpassung der Adresslisten ist nicht effektiv, da grössere Unternehmen ihre eigenen Listen führen und alle anderen Kunden externe Adresslisten benutzen können. Das wäre so, als würden alle Wegweiser auf der Autobahn entfernt. Wer eine Karte hat, findet den Weg aber trotzdem. Zudem gibt es spezielle, gut bekannte Internet-Adressen speziell zur Umgehung von Sperren jeglicher Art. Fazit: Die einzige Art und Weise, wie ein Provider verhindern kann, dass er ihm bekannte, unerlaubte Inhalte aus dem Internet transportiert, wäre die Abschaltung seines Systems. Ein Teil der von der Bundespolizei genannten Adressen befindet sich überdies auf Rechnern grosser US-Provider, die Tausende von Web-Angeboten bereithalten. Wird in diesen Fällen eine Adresse gesperrt, sind meist alle anderen, erlaubten Angebote dieser Anbieter ebenfalls gesperrt. Ohnehin werden Adressen im rassistischen Umfeld sehr häufig gewechselt. So funktioniert auch eine der von der Bundespolizei genannten Adressen auf dem Server des grossen US-Providers Webcom bereits nicht mehr. Die Schweizer Provider wurden in diesem Fall de facto gezwungen, viele Tausende zulässige und harmlose Angebote im Internet für ihre Kunden zu sperren. Die Palette reicht von der Homepage des Schweizer Baseball- und Softballverbands SBSV bis hin zum Internet-Angebot der Klus-Apotheke in Zürich oder des Thuner Rücken Trainings Centers. Nur jenes eine illegale Angebot des Neonazis Ernst Zündel, auf das abgezielt wurde, bleibt weiterhin frei abrufbar, denn das wurde vom Rechner der Webcom bereits auch an einen anderen Ort im Internet kopiert. Und würden konsequenterweise nicht nur zehn, sondern alle Adressen mit strafbaren Inhalten - viele Tausende - gesperrt werden, müssten Provider nicht nur ihr Personal stark aufstocken. Auch ihre Systeme könnten ihren eigentlichen Zweck, das Leiten von Datenpaketen, nicht mehr erfüllen. Dann sässe aber auch die Bundespolizei punkto Internet auf dem trockenen. Koordinationsschwierigkeiten Ob das gewählte Vorgehen der Sache - der Bekämpfung des Rassismus und anderer strafbarer Inhalte im Internet - dienlich ist, scheint fraglich. Die Bundespolizei handelte rechtlich zulässig, aber offenbar eigenmächtig und ohne Absprache mit den anderen in diesen Fragen betroffenen Bundesstellen; diese mussten von der Aktion aus den Medien erfahren und reagierten dementsprechend verärgert. Das Vorgehen erstaunt aber um so mehr, als das Bundesamt für Polizeiwesen (BAP), das seit Beginn dieses Jahres speziell ausgebildete «Internet-Polizisten» beschäftigt, mit dem Bundesamt für Kommunikation und den weiteren betroffenen Bundesstellen geplant hatte, in der Providerfrage gemeinsam vorzugehen - und das nicht nur gegen Rassismus, sondern auch gegen Kinderpornographie und andere strafbare Inhalte. Welche Massnahmen überhaupt sinnvoll sind, hätte dabei vorgängig im Dialog auch mit den betroffenen Providern abgeklärt werden sollen. Ein solches Vorgehen würden auch zuständige Untersuchungsrichter in den Kantonen begrüssen: «Ich bin der Meinung, dass man mehr gewinnt, wenn man im Klima des Vertrauens und der gegenseitigen Zusammenarbeit vorgeht, als auf harte Art und Weise und mit Drohungen, wie es die Bundespolizei offenbar tut», erklärte ein Waadtländer Untersuchungsrichter, der nicht namentlich genannt werden wollte. Die Selbstkontrolle der Provider funktioniere gut. Kampf gegen Windmühlen? Die Bundespolizei weist Kritik an ihrem Vorpreschen zurück. Es sei keineswegs unkoordiniert. Die Sache liege klar in ihrem Aufgabenbereich, und man werde die anderen Stellen über die gemachten Erfahrungen informieren. Auch sei das Echo der Pro- vider durchwegs positiv. Den Vorwurf, dass die verlangten Sperrungen unsinnig seien, will die Bundespolizei ebenfalls nicht gelten lassen. «Wir können Rassismus im Internet nicht verhindern, wollen aber eine Eindämmung erreichen», sagt Philippe Kronig, Jurist der Bundespolizei. «Der Provider soll die Möglichkeiten, die er hat, auch nutzen.» «Ich will keinen Ärger», meint stellvertretend für viele Schweizer Internetanbieter Peter C. Rudin, Chef von Blue Window. «Ich erwarte nun allerdings von der Bundespolizei jeden Tag eine aktualisierte Liste mit sämtlichen Adressen. Wer damit anfängt, muss weitermachen.» Erinnerungen an München Bei einigen Providern weckte der Brief der Bundespolizei Erinnerun- gen an ein im letzten Mai in Deutschland gefälltes Urteil eines Münchner Amtsrichters. Dieser hatte den Chef der deutschen Niederlassung des Internetproviders Compuserve für Pornographie verurteilt, die auf einem Rechner in den USA lagerte. Selbst die Staatsanwaltschaft hatte zum Schluss des Verfahrens einen Freispruch gefordert, weil es dem Angeklagten technisch weder möglich noch zumutbar gewesen sei, den Zugriff auf die betreffenden Inhalte zu verhindern. Der Einzelrichter verwarf in einem Rundumschlag jedoch sämt- liche Argumente und sprach von «falschen Vorstellungen vom Internet in den Köpfen aller Beteiligten». Sein Urteil löste weltweit Erstaunen und Proteste aus. Die Staatsanwaltschaft selbst zog das Urteil weiter. Ein grosser US-Provider verlegte einen Teil seiner Aktivitäten für deutsche Kunden ins Ausland. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht sinnvollere Wege zur Bekämpfung des Rassismus im Internet gibt, als Provider einzuschüchtern und den ständig wechselnden Adressen nachzujagen. Die Bundespolizei könnte zum Beispiel versuchen, jene Personen in der Schweiz aufzuspüren, die rassistische Angebote überhaupt erst im Internet aufschalten. _________________________________________________________________ zum Seitenanfang Ende des Artikels